Dieser Text wurde in der Versorgerin #115 veröffentlicht.
„THE ARTIST“ and „THE ROBOT“
Oliver Schürer, Christoph Hubatschke und Chris Müller über ihr bei STWST48x3 laufendes Projekt „The Robot is present“ – und den asynchronen Dialog zum Empfinden von Präsenz.
„Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks.“ (Benjamin, Kunstwerkaufsatz)
Die Arbeit The Robot is present konfrontiert die BesucherInnen mit zwei völlig verschiedenen Arten von Robotern, und unterschiedlichen Arten von künstlicher Intelligenz. Mit dieser Untersuchung stellt die Arbeit zweierlei zur Diskussion: Die Reproduzierbarkeit von Performance nicht als Kopie, sondern vielmehr als Differenz und Wiederholung. Die Produktion des Phänomens Präsenz, nicht von Lebendigkeit, sondern als eine Metaebene von Verkörperung.
Tagtäglich sind wir mit einer Vielzahl an nicht-menschlichen Entitäten und Objekten konfrontiert. Zwischen ständiger Interaktion und nahezu unbemerkten Abläufen im Hintergrund nehmen wir die Präsenz dieser Objekte und Entitäten gerade wegen ihrer Selbstverständlichkeit kaum wahr. Präsenz wird im Alltag allzu oft nur Menschen zugesprochen. Bei direkten und medial vermittelten Begegnungen wird dann von der „spürbaren Präsenz“ gesprochen, die gefühlt, wahrgenommen werden konnte. Doch auch Tiere können Präsenz ausstrahlen, und wird nicht auch manchmal einem antiquarischen Gegenstand, nicht zuletzt dank der Spuren früherer Verwendungen, eine besondere Präsenz zugesprochen? Doch was ist in einem Gegenüber, sei es Mensch, Tier oder Gegenstand präsent? Humanoide Roboter und künstliche Intelligenz gehören zu den meist diskutierten neuen Technologien, konstruiert und imaginiert für direkte Interaktion, Kommunikation. Individualisiert, angepasst an das Gegenüber sollen diese Technologien besonders geeignet sein ihre Präsenz spürbar zu machen, doch kann eine AI überhaupt Präsenz haben?
Die Performance „The Robot is present“ hinterfragt nicht nur die materiell wahrnehmbare Präsenz technisch-maschineller Entitäten, sondern fragt auch nach den (Un)Möglichkeiten, künstliche Intelligenz (A. I.) wahrzunehmen. Doch was bedeutet Präsenz überhaupt, wer oder was kann Präsenz haben und wahrnehmen? Genügt die bloße Anwesenheit einer KünstlerIn bereits, um als KünstlerIn präsent zu sein, genügt die Anwesenheit eines Roboters, um als Präsenz wahrgenommen zu werden?
Das Wort Präsenz selbst lässt sich auf das lateinische Wort „praesentia“ zurückführen, verweist somit bereits etymologisch auf eine ganz bestimmte Zeitlichkeit. Präsenz so legt der Wortstamm nahe, bezieht sich auf die Gegenwart, auf das Hier und Jetzt, auf das was sich in diesem Augenblick zeigt, eine räumliche wie zeitliche Unmittelbarkeit.
Als theoretisches Konzept wurde Präsenz jedoch ganz anders in die Philosophiegeschichte eingeführt. Augustinus zum Beispiel beschreibt mit Präsenz in einem Brief mit dem bezeichnenden Titel „De praesentia Dei“ eine ganz besondere Weise der Anwesenheit, nämlich die Präsenz Gottes, eine Anwesenheit also, die weder körperlich-materiell noch zeitlich spezifisch gedacht wird, eine Omnipräsenz, die in jedem Augenblick immer schon präsent ist, eine Anwesenheit, die ganz im christlichen Denken verhaftet auch nicht repräsentiert werden kann. Etymologisch auch als „prae sensu“ verstanden, also als das, was vor dem Sinn ist, wurde Präsenz quer durch die europäische Philosophiegeschichte als das verstanden, was sich zeigt, das, was schon vor dem Erkenntnisprozess hier ist.
Der französische Philosoph Jacques Derrida kritisierte in seinem Werk Grammatologie die „Metaphysik der Präsenz“, wie er einen großen Teil europäischer Philosophiegeschichte bezeichnet. Sein Ziel ist ein „rätselhaft“ machen wollen und herauszuarbeiten „was vorgeblich unter dem Namen der Nähe, der Unmittelbarkeit und der Präsenz (das Nahe, das Eigentliche und das Prä- der Präsenz) verstanden wird“. In Derridas Dekonstruktion der Romantisierung von Präsenz, ist jede Vorstellung von Unmittelbarkeit immer schon vermittelt, repräsentiert, nicht zwischen Präsenz und Absenz liegt die Differenz, so Derrida, „but rather between two forms of the re-turn or re-stitution of the present: re-tention and re-presentation.“
Performances versuchen oftmals eine direkte Präsenz zu erzeugen. Als Unmittelbarkeit und Happening kann sie nur einmal auf eine bestimmte Weise aufgeführt werden, sodass bei jeder Wiederholung Neues erzeugt, und der Präsenz-Begriff geradezu fetischisiert wird. Doch Präsenz ist, folgt man Derrida, immer schon vermittelt (repräsentiert), immer schon mehr als nur Gegenwärtiges oder Unmittelbares (Zurückgehaltenes).
The Robot is present,
transformiert die legendär gewordene MOMA Performance The Artist is Present von Marina Abramović. Damit wird menschliche Präsenz, im Kontrast zu anderen Formen von Präsenz untersucht. BesucherInnen beobachten die potentiellen A. I., verkörpert durch einen humanoiden Roboter. Indem sie die niedliche, menschgeformte Maschine betrachten, finden sie sich einem Spiegel gegenüber, der Fragen zurückwirft: Wird die Präsenz der A. I. im Unterschied zur Präsenz des Humanoiden empfindbar? Was ist nichtmenschliche, nichttierische oder nichtpflanzliche Präsenz? Ist Präsenz nur unmittelbar spürbar oder auch technisch erzeugbar? Wenn bei der Produktion von Präsenz kein Lebewesen simuliert wird, was wird dann präsent gemacht? Kann eine Automatisierung von intelligentem Verhalten tatsächlich Emotionen evozieren? Unterscheiden sich Emotionen, die man einer unbelebten Entität gegenüberbringt von solchen, die eine lebendige Entität auslöst? Welchen Anteil an der Emotion hat das Gegenüber, welchen das Ich?
Abramović fordert die Reproduzierbarkeit von Performance art pieces. Das ist ein radikaler Bruch mit einer der wichtigsten Grundlagen dieser Kunstform: Das Temporäre und Ephemere, eben nur im „Präsens“ eines Moments vorhandene und erfahrbare, wird eliminiert. Durch die Zerstörung von einem ihrer radikalsten Ansätze wird es möglich, Performance Art als hochkulturelle Kunstform zu etablieren. Was hingegen erhalten bleibt, ist, dass das Material dieser Kunst im menschlichen Körper gefunden wird, in seiner Empfindungsfähigkeit und Erscheinung. Bei dieser Verschiebung in die Hochkultur, wird aus Momenten präsenter Aktualisierung eine etablierte Form von Historizität idealisiert. Abramović macht Performance Art damit zu einer Kunstform, die gleichzeitig Theater und bildende Kunst ist; zu einem Verkörpern von etablierten Bildern von Performances. Von Bildern, die letztlich für die mediale Vermittelbarkeit und Diskursfähigkeit dieser Kunst, immer schon wichtiger waren als der Akt einer Performance selbst.
Dies provoziert die Untersuchung von Präsenz.
The Artist is Present wurde in einem hochkulturellen Tempel, einem White Cube, aufgeführt. Das New Yorker Museum Moma ist Sinnbild für globale Hochkultur und Spitzenkunst. Dort sah man Abramović im prächtigen Samtkleid, im Foyer an einem Tisch mit nur einer Besucherin, alles Weiß in Weiß, alles exakt gleichmäßig ausgeleuchtet, alles spricht von Reinheit, alles ist Abstraktion und Inszenierung einer Persönlichkeit, alles fokussiert im Loop nur auf The Artist. Die Arbeit The Robot is Present stellt sich in das Ready Made einer Werkstatt, eine grey Box. Das perfekte, glänzende Gehäuse eines humanoiden Roboters aus Massenproduktion, im ungleichmäßig verteilten Licht der konkreten Spuren menschlicher Arbeit. Das stundenlange Ertragen der Performerin, wird dem Betrieb eines humanoiden Roboters gegenübergestellt. Dieses Reproduzieren der Performance mit ungleichen, nahezu unlauteren Mitteln, bricht einmal mehr mit der Tradition der Kunstform Performance und erlaubt die Untersuchung der Verkörperung von Mensch, als technische Reproduzierbarkeit von Präsenz.
Multiple robotische Präsenz(en),
sprechen einen signifikanten Aspekt von technischer Reproduzierbarkeit an, den der massenhaften Vervielfältigung. The Artist spricht im Singular. Die Roboter-Installation bAm multipliziert den Singular und erforscht die Möglichkeiten des Plurals. Vervielfältigt sich die Intensität einer singulären Präsenz einfach mit der Anzahl der Entitäten? Löst sich in einem Schwarm, eine singuläre Präsenz rückstandslos auf?
Präsenz ist abhängig von Wahrnehmung. Mehrere selbstähnliche Gegenstände erscheinen als Gruppe aufgrund ihrer identischen Verhalten. Auch die Relationen der Wahrnehmungsmaßstäbe spielt eine ausschlaggebende Rolle in Bezug auf das Wirken von Präsenz. Wir erkennen in einer Ameisenkolonie die einzelnen Tiere, aber nehmen wir eine Ameisenkolonie als Ansammlung von Einzelnen war? Die menschliche Betrachtung schweift zwischen Tier und Schwarm. Dabei begreifen wir die Kolonie als Gemeinsames, als eigenen Organismus, der als Ganzes eine eigenständige Präsenz des Schwarms zeigt. Ob eine Ameise gutmütig agiert oder nicht, ist vom menschlichen Standpunkt aus vorerst nicht nachvollziehbar, doch ob die gesamte Kolonie schadhaft handelt, sehr wohl. Wir schreiben den einzelnen Akteuren der Kolonie weniger Handlungsfähigkeit zu, als dem Wirken der Gruppe, die ganz Ernten vernichten könnte. Bei der Diskussion über die vermeintliche oder auch tatsächliche Weisheit der Vielen (Crowd wisdom), fallen oftmals Begriffe wie kollektive Intelligenz und Schwarmintelligenz. Ist kollektive Intelligenz vorerst ein bewusstes Zusammentragen von Information, stellt Schwarmintelligenz eine Form von Intelligenz dar, bei der einzelne Akteure ihren Beitrag zur Weisheit des Schwarms nicht kennen. Was bedeutet das in Bezug auf das Thema der Präsenz?
bAm ist eine Aggregation von autonomen Robotern, die diese Fragen reflektieren. Sie verfügen über Lernfähigkeit. Analog zur Ameisenkolonie bewirkt ein singulärer bAm dabei wenig, wirken sie plural zusammen, erreichen sie völlig andere Qualitäten. Nach den Prinzipien der Schwarmintelligenz, organisieren sie sich eigenständig und erzeugen im Team höhere kognitive Fähigkeiten. Jeder einzelne bAm wird dabei Teil eines einzelnen „Organismus“, der seine Umgebung wahrnimmt und auf sie reagiert. Gemeinsam erzeugen sie interaktive und adaptive Raumskulpturen. Hierarchie, Organisation und Typologie werden dezentralisiert. Die Geometrie ist in dieser Architektur nicht vordefiniert oder gesteuert, sondern gestaltet und kontrolliert sich selbst und reagiert flexibel auf sich verändernde Umstände.
Mittels Smartphone, Tablet oder Computer, kann der bAm-Schwarm von Gruppen von Menschen gesteuert werden. Adaptive, selbstorganisierte und lernfähige Architektur entsteht, indem Schwarm und kollektive Intelligenz zusammenwirken. Welche Art Präsenz entsteht in der wechselseitigen Durchdringung von kollektiver, organischer Intelligenz und schwarmartiger, künstlicher Intelligenz?
Präsenz wirkt nicht im Präsens, fordert keinen Akt der Beobachtung ein, sondern vielmehr Eigenschau. Denn bar von abstrakter Potentialität ist sie sinnlich-involvierte Anmutung. Damit werden selbstverständliche Begriffe für Verständnis und Beurteilung von zeitgenössischer Technologie, wie Intelligenz und Bewusstsein, auf ihren Gehalt an Anthropomorphismus untersucht. Ein Bezugspunkt am Horizont dieser Untersuchung ist das Entwickeln von adäquaten Bezeichnungen der Phänomene, die den engen Blickwinkel von einem anthropomorphen Verständnis der Wirklichkeit weiten. Ein weiterer Bezugspunkt ist die Künstlichkeit von Präsenz im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Die Performance lässt nur einen Schluss zu: selbstverständlich ist keine A. I. in den Robotern präsent - oder etwa doch?